Historie - oder wie ein Klischee zum Klischee wird (Fortsetzung)

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Neugierde

Guest
Dieses Szenario könnte man nun auch mit dem AMD Athlon fortführen, der Mitte 1999 vorgestellt wurde und die ersten Wochen wieder ohne brauchbare Plattform dastand. Aber das ist müsig und so wollen wir uns noch andere Aspekte herausgreifen, die AMD den verleumderischen Ruf beschert haben. Wer den Artikel bis hier her durchgehalten hat, könnte den Eindruck gewinnen, AMD sei ein armes Opfer der Umstände. Doch dem ist nicht so, denn diese Medaille hat auch eine Kehrseite. Intel, seines Zeichens Marktführer mit deutlichem Vorsprung und eine Macht in der IT-Welt, setzt dies bei der Entwicklung neuer Produkte zum Vorteil der Kunden konsequent um. Als Beispiel sei die ATX-Spezifikation 2.03 für Netzteile genannt, die Intel extra für den Pentium 4 eingeführt hat, als sich abzeichnete, daß dieser in Sachen Stromdurst nicht eben zimperlich sein würde. Intel hat das Gewicht zu sagen, "entweder ihr baut Netzteile nach dieser Spezifikation oder Ihr baut eben keine Pentium 4 Netzteile, basta". Intel kann strenge Richtlinien für Produkteigenschaften und Toleranzen aufstellen und die Hersteller dieser Komponenten dazu zwingen sie einzuhalten. Ansonsten gibt's halt keine Produkte von dieser Firma, die für Intel-Systeme spezifiziert sind.

Diese Marktmacht besitzt AMD als frisch gebackener 20% Zwerg nicht, dabei hätte - um beim Beispiel "Netzteile" zu bleiben - das gerade dem stromfressenden Athlon gut zu Gesicht gestanden. Sie müssen wie in der Vergangenheit gesehen froh sein, wenn sich überhaupt ein Hersteller erbarmt, Produkte für die AMD-Schiene zu produzieren. In dieser Position ist es selbstredend nicht einfach, Forderungen zu stellen, strenge Richtlinine aufzustellen, welche die Herstellungskosten zum Beispiel eines Netzteils in die Höhe treiben würden. AMD spricht hier für die Kunden Empfehlungen für fertige Netzteile aus, die positiv mit einem Athlon-System getesten wurden. Also sehen was da ist und davon einige herauspicken, die funktionieren. Mehr nicht. Das setzt natürlich voraus, daß ein Integrator oder Bastler sich auch daran hält. Tut er es nicht, weil er von den Empfehlungen nichts weiß oder es ihm egal ist, haben wir das erste schwache Glied in der Kette zu einem stabilen System. Beim Bau eines AMD-Systems kann der Kunde also sehr viel mehr falsch machen, als bei einem Intel-System. Intel gibt dem Kunden die Chance dazu meist gar nicht.

Ein weiteres Beispiel, auf die der Integrator/Anwender überhaupt keinen Einfluß hat, ist die Spezifizierung für DDR-SDRAM Speicher. Hier hat AMD sich auf die Vorgaben des JEDEC-Konsortiums beschränkt, die überzeichnet formuliert derart wage sind, daß zu Anfang der DDR-SDRAM Ära so ziemlich alles als PC2100-konform verkauft wurde, was zwei Ladungszustände auf mehr oder minder lange Dauer speichern konnte. Die ersten DDR-(Marken!)-Module, die wir uns für die Mainboard-Reviews besorgt haben, taugen höchstens zum Kaffee umrühren, zu mehr aber auch nicht. Das spiegelte sich auch bei uns im Forum wider, als Anwender im Bewußtsein alles richtig gemacht zu haben, vor den Datentrümmern ihrer OS-Installation standen, weil diverse RAM-Module erst mit 0.4V Überspannung einigermaßen zuverlässig in die Gänge kommen wollten.

"...bei der Konfiguration eines AMD-Systems kann der Kunde sehr viel mehr falsch machen, als bei einem Intel-System..."

Doch auch der Anwender ist nicht ganz unschuldig an der Misere! Wie überall gibt es auch in der Schar von AMD-Kunden zwei extreme Käufertypen mit unendlich vielen Schattierungen dazwischen. Typ 1 am einen Ende der Skala ist der Perfektionist. Foren und Reviews lesenderweise stellt er sich seinen Traum-PC nach festen Kriterien zusammen: Exakt dieses Mainboard X muß es sein, weil... zusammen mit jenem Speicher der Marke Y vom Typ Z, weil... usw. usw. und am Ende wird alles genau so zusammengesetzt und konfiguriert, weil... Dieser Anwender wird über die landläufige Meinung, AMD-Systeme arbeiten unzuverlässig, nur milde lächelnd den Kopf schütteln, wohl wissend, daß er eines der feinsten, stabilsten und schnellsten Systeme unter seinem Schreibtisch stehen hat, das es für Geld und gute Worte zu kaufen gibt.

Extrem-Typ 2 am unteren Skalenende jedoch motivieren andere Beweggründe. Für ihn kommt ein AMD hauptsächlich deshalb in Frage, weil er billiger ist, als ein entsprechendes Äquivalent von Intel. Leider jedoch - und das ist eine immer wiederkehrende Erscheinung, die jeder in unserem oder einem beliebigen anderen Forum nachlesen kann - genügt es hier offenbar meist nicht, daß bereits der Prozessor ein paar dutzend Euro günstiger zu haben ist. Wenn schon sparen, dann richtig und so wird das alte Pentium II System mit geringsten Mitteln über die Jahrtausend-Schwelle geschleppt. Noname Speicher, ein billiges Mainboard, "so einen Papst-Kühler" (das ist zwar nur der Lüfter, aber wen interessiert das schon) und fertig ist der neue Computer. Daß womöglich das alte 200W Netzteil dem Stromdurst des 1200er TBird nicht genügen könnte oder das Betriebssystem samt Treiber nach dem Platinenwechsel neu aufgesetzt gehört - mein Gott, seid ihr pingelig! So wird das System nun in Gang gesetzt und sollte der TBird den ersten Systemstart ohne Wärmeleitpaste tatsächlich überlebt haben, wird der Speicher-Riegel der bekannten Weltmarke "PC266" schon dafür sorgen, daß der erste Bluescreen nicht allzu lange auf sich warten läßt. Bereits nach 30 Minuten ist der unwiderlegbare Beweis erbracht! Mit dem Intel lief das System zuvor ja noch Spitze...

Zugegeben - beide geschilderten Fälle sind extrem. In der Realität werden die meisten Anwender sich wohl irgendwo dazwischen wiedererkennen. Die Fälle sind im übrigen keine Erfindung, sondern Begebenheiten, die vermutlich jeder, der viel mit der Materie zu tun hat, schon live miterleben "durfte".

mfg
Sabine

 
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